„Riot sounds produce Riots“

Hier der erste Teil des Interviews mit Alex Empire über Nationalhymnen, Weihnachtslieder und Techno und Politik in den 90ern.

Ihr habt euch in Interviews häufig auf das Konzept „Riot Sounds“ bezogen, also die Idee, dass man mit Sounds Aufstände hervorrufen kann. Wir haben uns noch mal ein Video von 1999 angeguckt. Bei der damaligen 1. Mai-Demo hat das ja ganz gut geklappt. Ist das immer noch euer Konzept?

Es gibt ein Gedicht von William S. Borroughs, „Riot sounds produce Riots“. Da geht es darum, was passiert, wenn man Riot-Sounds abspielt; z.B. im Supermarkt oder oder irgendwo auf einem öffentlichen Platz. Die Leute denken, „es geht irgendwas ab“, und dann ruft vielleicht auch noch jemand die Polizei und es entsteht wirklich ein Riot. Zuerst wird es simuliert, und dann wird es Realität.
Das ist auch die Idee hinter der Band: wir machen mit einem Atari-Computer aus den 80igern Musik, und versuchen, die Energie von Punk und allen möglichen Musikstilen, die revolutionäre Energie in sich haben, “nachzuprogrammieren”, um zu einer Simulation von Riot beizutragen.


Das heißt natürlich nicht, dass jetzt immer ein physischer Riot entstehen muss, aber meistens ist es schon so, dass es den Status Quo stört, wenn die Leute dieser Energie ausgesetzt sind.
Bei einer Punkband erwarten die Leute halt einen ganz bestimmten Sound. Wir finden es gut, dass aufzubrechen, und die Erwartungen nicht zu erfüllen.
Natürlich ist es mittlerweile so, dass sich Leute an unsere Musik gewöhnt haben, anders als vor 20 Jahren.
Es geht darum, Songstrukturen aufzubrechen, Geräusche zu benutzen, die Adrenalin ausschütten im Körper – sowas interessiert uns. Es interessiert uns nicht, einen Song zu schreiben, der einer bestimmten Struktur folgt, wir benutzen zwar solche Elemente, um die Leute reinzuziehen, aber dann brechen wir sie auf.
Derselbe Effekt funktioniert auch in anderen Medien, in Filmen, überall. Dass es halt nicht läuft wie im Fernsehen, wo es immer gleich funktioniert und die Leute denken: Ok, dass muss ich jetzt halt so akzeptieren.

Wofür und wogegen wollt ihr denn Riots produzieren?
Wir sind der Meinung, dass Musik so etwas wie ein „Grid“ ist, eine Art Denkschema. Viele Leute verhalten sich, wenn sie Musik hören, in einer bestimmten Art und Weise. Jede_r kennt das Beispiel von weihnachtlicher Musik, die sofort die entsprechenden Stimmungen hervorruft. Ähnlich ist es beim Militär oder in der Kirche oder eben zu politischen Anlässen – vielleicht kann man da sogar Nationalhymnen mit einbeziehen: plötzlich funktionieren Leute, und das finden wir gefährlich. Weil die Musik eben dazu führt dass die Leute sich sofort anpassen und in einer bestimmten Art und Weise verhalten – und dadurch manipulierbar sind. Man sieht das auch in der Werbung, die benutzt das ziemlich ausgeklügelt, um Leute dazu zu bewegen, Produkte zu kaufen. Auch die Politik benutzt das, um Emotionen zu schüren, z.B. wenn Leute durch das Abspielen der Nationalhymne in eine patriotische Stimmung gebracht werden sollen, etwa in Kriegssituationen. Bestimmte Musik wird gezielt produziert, um Leute zu etwas zu bewegen.
Wir wollen genau das angreifen. Weil wir Anarchisten sind. Ich bin gegen den Staat. Weil ich finde, dass die Struktur, in der wir uns bewegen, viel zu viel vorgibt. Durch die Art wie Gelder verteilt werden, wie Gesetze gemacht werden.
Und das ist ja auch vielleicht genau das, was wir im Moment sehen; also, dass die Leute eigentlich nur noch zugucken können, was passiert. Sie können zwar ihre Stimme abgeben, aber stellen dann hinterher fest: es ändert sich eigentlich nie das, was sich eigentlich ändern müsste.

Mit dem Musikmachen angefangen habt ihr ja in den Neunzigern. Was waren damals die Hintergründe?
Die Anfänge von Techno in Deutschland waren ja in Frankfurt, aber ich sag mal: Richtig los ging’s in Berlin nach dem Mauerfall. Jeder kennt die Bilder von den ersten Love Parades, wo sehr viele Leute zusammen gekommen sind.
Gleichzeitig wurde der Rassismus stärker, es gab Angriffe auf Asylbewerber_innenheime, es gab ein neues Nationalgefühl was im wiedervereinigten Deutschland auch von den Politikern so gewollt wurde um das Land zu einen.
Als dann die Anschläge in Rostock und anderswo passierten haben wir gesagt, wir können jetzt nicht mehr einfach nur Dance Music machen. Wir müssen jetzt was sagen. Und das war der Moment wo wir Atari Teenage Riot gegründet haben. Weil wir eine Band machen wollten, die sich nur um diese Themen kümmert. Also kein Raum für persönliche Dinge wie „Meine Freundin hat mich verlassen.“, sondern jeder Song muss eine politische Aussage haben, wie ein Dogma. Wir haben viele Texte so geschrieben, wie man sie vielleicht für eine Demo oder ein Pamphlet machen würde. Teilweise sehr einfach, wir haben einen Song der heißt „Start a Riot“, da gibts dann auch nur 20 Worte oder so.
Das heisst natürlich nicht, dass Du es dann dabei belassen solltest. Ein Song kann immer nur ein Anfang sein, unserer Meinung nach. Dass jemand anfängt nachzudenken über ein Thema, und dann hoffentlich weiter nachforscht.

Ihr seid ja auch in den USA, in Großbritannien und Japan sehr bekannt, und habt ja auch Mitglieder aus anderen Ländern.
Die erste Formation von ATR bestand aus Carl Crack, der ist in Afrika geboren und in Berlin aufgewachsen, Hanin Elias, deren Eltern aus Syrien kamen, also auch ein anderer Background. Dann kam Nic Endo dazu, die halb-Japanerin ist, aber in Texas geboren wurde und dann irgendwann auch nach Berlin kam, aber eben auch einen us-amerikanischen Pass hatte. Und jetzt sind z.B. Rowdy Superstar dabei, das ist ein Rapper aus England, und MC CX Kidtronic aus New York… . Es ist immer so: wer was zu sagen hat, ist dabei. Es war immer eine kollektive Stimmung; verschiedene Leute kamen in das Projekt rein.

Würdet ihr euch als deutsche Band sehen?
Nee. Ich bin zwar in Berlin geboren, und viele behaupten, “sowas hätte irgendwo anders nicht passieren können”. Aber letztlich glaube ich, wenn ich woanders geboren wäre, wär ich vielleicht auch auf solche Ideen gekommen (lacht). Jedenfalls sehen wir uns nicht als mit Deutschland verhaftet. Natürlich kenne ich Berlin und bin hier groß geworden. Ich hab aber auch mal länger nicht hier gelebt, und es ist nicht so, dass mir warm ums Herz wird, wenn ich irgendwo die Deutschlandflagge sehe – ganz im Gegenteil.