Liebe Redaktion,
herzlichen Glückwunsch zur neuen Ausgabe!
Ein wenig irritiert war ich angesichts des Artikels. Zum einen seine Inkonsequenz die schlicht mit Hedonismus gerechtfertigt wird. Soll Klimawandel und Ausbeutung in der Tourismusindustrie etwas heißen, nicht so wie immer nach Marokko zu fliegen? Die Autoren wollten sich das nicht nehmen lassen.
Die Denkfigur läßt sich weiterstricken, soll ich etwa, weil es frauenfeindlich ist, auf Sexismus verzichten, obwohl er mir Spass macht? Soll ich etwa die Batterien jetzt jedesmal zur Müllsammelstelle bringen, satt in den Hausmüll zu werfen…etc…
Noch schlimmer wird es in der Kritik an Fair Trade. Das Argument ist so alt wie widerlegt und borniert. Weil FT die Welt nicht vollständig revolutioniert, wird es hier gleich ganz abgelehnt. Als würden die, im Artikel zitierten Zapatisten, nicht auf von FT profitieren, als wäre es eine Anstrengung, in der ersten Welt 50 c mehr zu zahlen für die Packung Kaffee.
Drittens: Es heißt an einer Stelle, die Armen in Marokko wären eben irgendwie auch ausgebeutete Lohnarbeiter in der Maschine, oder so. Wie bitte? Ein deutscher LohnarbeiterIn, selbst ganz ganz unten kann immer noch bei KIK Textilien kaufen, aus pakistanischen Sweatshops, die eben mal abbrennen wie letztes Jahr, also aus Produktionsverhältnissen in denen Menschen nicht nur erniedrigt werden, sondern einfach sterben, oder ihr Tod in Kauf genommen wird. Das ist ein Unterschied, und wer ihn nivelliert, mit einem schnodrig pubertären, wir sind ja eh alle gleich im System, steht auf der Seite von Menschenverachtung und ihrer nicht-Beachtung. In der globalen Hackordnung steht jeder deutsche Lohnarbeiter über denen der dritten Welt! Fast jeder Konsument macht sich mitschuldig. Und ja, es gibt selten die Wahl. Aber da wo es sie gibt, FT, sollte sie genutzt werden. Einfach mal Lenin zu den Kinderkrankheiten des Linksradikalismus lesen. Der Artikel macht so ziemlich alle Fehler.
Ich sehe da keinen Unterschied zum Rap „leider Geil“ von 2012. Die erste Welt bekennt sich zum aufgeklärten Imperialismus und Zynismus, als ob er damit besser würde.
Grüße!
pw
Hallo pw,
danke für deinen Brief.
Wir versuchen nochmal, das Argument des Artikels genauer zu fassen.
Keineswegs geht es darum, jede Form von individuellem Handeln in die Tonne zu treten. Gerade was Geschlechterverhältnisse, oder auch Rassismus, angeht, sehen wir hier sehr viel Handlungsmöglichkeiten. In einem Artikel, der sich mit dem Verhältnis von Reformen und der Forderung nach Revolution befasst haben wir sogar genau dafür argumentiert, die eigene Geschlechterrolle, entsprechendes Redeverhalten etc.etc. zu reflektieren und zu ändern.
Demgegenüber sind wir tatsächlich etwas skeptisch gegenüber dem Versuch, durch individuelles Handeln ökonomische Strukturen zu ändern. Dabei geht es gar nicht um einen blinden „Nach-Mir-Die-Sintflut“-Hedonismus (Der Text von „Leider geil“ kann durchaus so gelesen werden, das finde ich auch problematisch – vielleicht ist er aber auch nur total überzogen und zynisch gemeint). Sondern darum, sich nicht selber individuell dafür fertig zu machen, dass die Welt so beschissen ist und auf Ausbeutung
basiert. Dieses Gefühl lähmt im schlimmsten Fall und sorgt dafür, dass Leute sich eben nicht überlegen, wie sie kollektiv was verändern können, sondern stattdessen sich gegenseitig moralisch anschuldigen.
So gehen wir zwar mit Deiner Analyse globaler Machtverhältnisse und ihrer Auswirkungen auf die Individuen (in deinem 3. Punkt) vollends d’accord. Klar geht es „uns“ besser als pakistanischen
Sweatshoparbeiter_innen. Nicht ganz übereinstimmen tun wir mit der Konsequenz, die Du daraus ziehst: „Jeder Konsument macht sich mitschuldig.“: Nein, wenn es nach mir gehen würde wäre das alles ganz
anders, es gäbe keine pakistanischen Sweatshoparbeiter_innen mit beschissenen Arbeitsbedingungen und ich glaube nicht, dass ich an deren Situation „schuld“ bin, auch wenn ich persönlich von den strukturellen
Ungleichheiten des Weltmarktes profitiere.
Das heisst nun nicht, dass es nicht viele Möglichkeiten für positive Veränderungen gibt: Neben der Analyse und Kritik des schlechten Bestehenden (was die SaZ macht) das gemeinsame Organisieren dagegen (zum
Beispiel antikapitalistische Aktionstage wie M31), oder auf einer individuellen Ebene auch – siehe oben – das Reflektieren und Verändern eigener herrschafttlicher Verhaltensweisen. Und in Bezug auf Konsum
macht es m.E. total Sinn, Zapatista-Kaffee zu kaufen: Weil damit konkrete Initiativen vor Ort unterstützt werden und in Bezug auf die Zapatistas die Inhalte, Strukturen, Vertriebswege relativ direkt und
transparent sind. Das ist bei großen Fair Trade Labels anders. Und so gut das auch ist, die Zapatistas vor Ort ökonomisch zu unterstützen, so falsch finden wir es, Leute im „Westen“ fertigzumachen, wenn sie es von
ihrem mageren Lohn nicht schaffen, noch mehr Geld für Fair Trade Kaffee auszugeben. Oder wenn sie in den 2 Wochen Jahresurlaub wirklich das Bedürfnis haben, mal in den Süden zu fliegen um dem
Winter-/Arbeitshorror hier mal zu entkommen. Genau da wollen wir halt: Für eine Welt kämpfen, in der es zumindest keinen Arbeitshorror mehr gibt (das mit dem Winter schauen wir dann mal…).
Soweit von uns, herzliche Grüße
Leia
für die SaZ