„Eine Schule für Alle“

Sandra Boger von Wild:LACHS für alle e.V. über Inklusion in der Schule

SaZ: Seit einigen Jahren versucht die Bildungspolitik, das gemeinsame Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen zu ermöglichen. Das läuft unter dem Begriff „Inklusion.“ Du bist in einem Verein aktiv, in dem sich Menschen mit Behinderungen für ein „inklusives Leben“ einsetzen. Was bedeutet Inklusion für dich?

Sandra: Inklusion bedeutet, dass alle Menschen ihre Potentiale nach ihren Vorstellungen und Möglichkeiten entwickeln können. Auf Bildung bezogen bedeutet das, es gibt eine Schule, auf die jeder Mensch gehen kann. Das drei- bzw. viergliedrige Schulsystem wäre demnach eigentlich überflüssig, da hier von vornherein in bestimmte Bahnen und Strukturen einsortiert wird und eine freie Entfaltung der individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht gegeben ist. In diesem Sinne sollte der Lernort flexibel gestaltbar sein, d.h. Barrieren in jeglicher Form müssen gefunden und abgebaut werden. Ebenso müsste jede lernende Person ihren spezifischen Förderplan erhalten und nicht nur wie bisher die Schüler_innen mit sogenanntem Förderbedarf.

SaZ: Bei der Debatte um Inklusion geht es oftmals nur um Schüler_innen mit geistiger oder körperlicher Behinderung. Der Begriff der Inklusion umfasst aber noch viel mehr Merkmale, oder?

Sandra: Bei Inklusion geht es um Vielfalt und darum, dass jeder Mensch als einzelne Person anerkannt und respektiert wird – er kann einfach so sein, wie er ist. Es geht darum, miteinander zu leben und voneinander zu lernen, unabhängig von Merkmalen wie Behinderung, Migration, Geschlecht etc.

SaZ: Und wie sähe eine Schule in diesem Sinne aus?
Sandra: Das wäre eine Schule für Alle. Und das beinhaltet, dass eben auch die erforderlichen Bedingungen wie z.B. entspre- chendes Lehrpersonal und Lernmaterial vorhanden sind, da andernfalls Überforderungen, Misserfolge und Ausgrenzungen drohen. Natürlich entstehen solch inklusive Schulen nicht von heute auf morgen, sondern im Prozess. Aber genau deshalb ist es wichtig, Menschen nicht weiterhin in Sonderinstitutionen zu beschulen und darauf zu warten, dass irgendwann die Gesellschaft so weit ist und die Bedingungen passend sind.

SaZ: Täuscht das Konzept der Inklusion im Bildungssystem nicht darüber hinweg, dass es in kapitalistisch organisierten Gesellschaften immer Gewinner_innen und Verlierer_innen geben wird?
Sandra: Es täuscht nicht darüber hinweg, sondern ebnet den Weg in eine Gesellschaftsform höherer Solidarität. Sozusagen ist Inklusion kein Wertesystem. Der Anspruch ist, die an messbarer Leistung orientierte Gesellschaft zu überwinden, die Ketten zu sprengen und die Menschen schon von Anfang an darauf aufmerksam zu machen, an welchen Stellen es in unserer Welt systematisch zur Ausgrenzung kommt.

SaZ: Hast du den Eindruck, dass sich junge, auf welche Art und Weise auch immer behinderte Menschen, zusammenschließen und im Sinne der Inklusion politischen Druck ausüben?

Sandra: Ja, es gibt Aktionen hierzu. Beispielsweise fand im Sommer die zweite „Behindert und verrückt feiern Pride Parade Berlin“ statt. Außerdem gibt es Vereine und Arbeitskreise wie z.B. den AK moB (AK mit ohne Behinderung) und Wild:LACHS für alle e.V., die sich für das Thema Inklusion engagieren.

Zum Weiterlesen:
Wild:LACHS für alle e.V.
Arbeitskreis mit ohne Behinderung (AK moB)